Durch das Alborzgebirge – oder die Himmelfahrt eines Liegeradfahrers?
„See You in Iran!“ waren die letzten Worte, die mir mein iranischer Reisekamerad Roozbeh („Ruusbe“) beim Abschied in Wien hinterhergerufen hat. Wir hatten uns 40km vor Wien bei einer Pause unter Linden getroffen. Er hatte soeben sein Spezialliegerad aus einer Manufaktur in Tübingen abgeholt. Entlang der Donau verbrachten wir zwei sehr unterhaltsame Stunden auf unseren Reißegerätschaften.
Ich wusste, dass ich diese Einladung offen hatte und entschied mich die Fahrt durch das Alborzgebirge von Süd nach Nord anzutreten!
Von Qazvin bis zum kaspischen Meer nach Lahijan, die Heimatstadt von Roozbeh, sind es ca. 220km, drei bis vier Tage für den Liegeradfahrer.
In den Morgenstunden setzt mich der Busfahrer am Seitenarm der Autobahn ab.
Ich muss jetzt erstmal mitten durch die 400-Tsd.-Einwohnersatdt. Dank Ramadan, ist in den Straßen der Großstadt kein Frühstück erhältlich. Ich decke mich dafür an der nächsten Ecke mit Brot und Keksen ein. Danach fällt mir auf, dass mein Geldvorrat in Rial komplett aufgebraucht ist.
Ich muss einen Geldwechsler finden. In den ersten zwei Banken ist nichts zu machen, ich werde weitergeschickt, in ein anderes Stadtviertel. Auf zwei und dreispurigen Straßen, im dichten Gedränge der Fahrzeuge gehe ich schnell unter. Die Verkehrsführung ist erstmal verwirrend, an manchen Kreuzungen geht es nur in zwei Richtungen. Ich muss mir die Einbahnsraßenführung in der Karte genauer ansehen um nicht zu viele Umwege machen zu müssen. Auf dem Weg durch die Stadt schüttele ich die Hände von einer Menge interessierter Einheimischer. Was mich allerdings nicht so schnell weiterbringt, weil die meisten kein Englisch sprechen.
Wie sich rausstellt gibt es auch in der Bank neben der Universität keinen Geldwechsler.
Beim Verlassen des Bankgebäudes gibt es erstmal einen Selfie-Termin mit den Polizisten und ein längeres Gespräch mit einem Polizist der sehr gut Englisch spricht.
Ein sehr hilfsbereiter Iraner entscheidet sich dazu sich um mein Anliegen mit dem Geldwechsel zu kümmern. Er bringt mich mit dem Auto zur Wechselstube. Während der Fahrt im Kreisverkehr posiere ich für zwei drei gemeinsame Selfies, die mein Fahrer mit einer Hand am Lenkrad schießt.
Endlich zurück an meinem Liegerad in der Bank. Ein Blick aufs Handy sagt mir, dass ich einen halben Tag für den Geldwechsel gebraucht habe. Ich muss endlich los, raus ins Freie, durch den Großstadtverkehr, und ich darf mich weder überfahren lassen, noch von den Leuten aufhalten lassen!
Am Rande der Stadt suche ich mir ein verstecktes Plätzen auf einem Grünstreifen an der Schnellstraße auf der ich entlang geradelt bin. Hier verbringe ich die hitzigen Mittagsstunden mit einer Wassermelone. Ich stelle den Wecker auf 17:30 Uhr, das ist allerdings unnötig weil sich soeben der nächste Besucher ankündigt, der mich in meinem schattigen Plätzen entdeckt hat… Danke für die viele Aufmerksamkeit! „Ich hatte heute nur 4 Stunden Schlaf… kann ich bitte…“, diese Worte sind leider vergebens, weil mein Besucher auf Farsi mit mir kommunizieren möchte.
Bei nachlassender Hitze fahre ich über den heißen Asphalt, durch die letzten Ausläufer der Stadt in eine kahle Landschaft mit trocken gefallenen Feldern. Zu meiner rechten Seite tauchen die Wüstenberge auf.
Während der langgezogenen Auf- und Ab-Passagen die treibt mir die immer noch kräftige Abendsonne den Schweiß ins Gesicht. Plötzlich sehe ich mich wieder an der Eingangspforte des Alborz-Gebirges.
Ein unwirklicher Anblick. Die Sonne steht über den Bergspitzen, die Luft ist grau, und von Staub gesättigt. Die Sicht ist verdunkelt. Die Straße läuft tief hinein in ein enger werdendes Tal. Der Verkehr einmal mehr brachial, ein nichtabreisender Strom an LKWs
Eine ganze Menge alter Mercedes LKW aus den 60er Jahren poltern an mir vorbei. Manche Trucks sind mit der hochgestapelten Fracht ein halbes Stockwerk höher.
Ich fühle mich winzig und verletzlich, auf der breiten Straße, mein Fahrrad endet unterhalb der Ladekanten der meisten LKWs. Außerdem keine Ahnung wo mich diese Straße heute noch hinführen wird, die Gegend wird immer trockener, die Berge sind schon vegetationslos, steile Wüstenfelsen ragen vor mir auf.
Wird es dort in der engen Schlucht genug Wasser für mich geben, gibt es an der Straße Geschäfte, in denen ich meinen schnell verbrauchten Vorrat wieder aufstocken kann?
Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, erreiche ich einen Wendepunkt, nachdem die Straße steil nach unten verläuft. Ich nehme rapide an Fahrt auf, ein geiles Gefühl! ich merke, dass ich mit den LKWs bergab gleichziehen kann. Weiter unten sind LKWs auf der Gegenfahrbahn in Sicht, aber mein Adrenalinpegel ist ganz oben und ich kann ich nicht mehr lange halten, trete bergab voll in die Pedale, ziehe auf den Mittelstreifen raus und überhole die Lastkraft-Titanen vor mir.
Und in die nächste Kurve lege ich mich mit ca. 50 Sachen und ziehe nochmal an einem LKW vorbei. Das Herz klopft heftig, als ich rechtzeitig vor dem Gegenverkehr auf den rechten Fahrstreifen einschere.
Die Schlucht wird immer enger, die Wüstenlandschaft trostloser, der Verkehr beruhigt sich etwas, und es bricht unerwartet schnell die Dämmerung heran.
Von einem geeigneten Schlafplatz bisher noch keine Spur.
Kurz vor Dunkelheit erreiche ich den Fluss in der Tiefe der Schlucht. Hier gibt’s endlich wieder Bäume und Grünzeug! Da sind sogar Obstbäume mit dabei. Ich wird mich wohl den kleinen Weg da runter schleichen und mein Zelt unter einem der (in der Wüste hochgeschätzten) grünen Mitlebewesen aufbauen.
Aber was ist das? Der Hain ist eingezäunt, ein Gatter versperrt mir den Weg.
Da vorne kommt mir jemand aus dem Halbdunkel entgegen.
Ok, erstmal keine Verständigung möglich, hilft nur das Smartphone. Und mit viel Glück, übersetzt der Translator ausnahmsweise nicht Apfel zu Banane.
Mit dem Translator bringe ich meine Frage nach einem Schlafplatz unter den Bäumen nicht rüber. Das Internet funktionier! Hehe!
Ich google „Zelt“ und zeige erst auf ein buntes Zelt und dann auf die Obstbäume im umzäunten Garten.
Der Mann will nicht so ganz wie ich will, verweist mich mit einem Fingerzeig nach oben auf die Straße, da wo ich hergekommen bin.
Was spricht denn gegen ein Zelt da unter den Obstbäumen?
Nach den Strapazen des Tages bemühe ich mich ernsthaft um nettes Lächeln.
Es kommen ein paar Leute hinzu, und einer der jungen Männer will mich verstehen.
Das Gatter wird zur Seite getan. Ich rolle die steile Rampe entlang der Felsmauer runter in den Obstgarten.
Im nächsten Moment begreife ich, hier unter den Bäumen ist das Zuhause einer Großfamilie mit mehreren Frauen und vielen Kindern.
Ein winziges Häuschen befindet sich unter dem Blätterdach von Walnuss- und Kirschbäumen.
Mit dem jungen Mann unterhalte ich mithilfe einer Übersetzungsapp.
Das geht langsam, aber es funktioniert halbwegs.
Ich bekomme eine ausgediente Couch unterm Kirschbaum neben dem umgeleiteten Frischwasserbach als Schlafplatz zugewiesen.
Ich bin sehr froh, dass sie mich jetzt aufgenommen haben.
Dann weist mir mein Gastgeber Ibrahim (ungefähr in meinem Alter) den Weg ins Haus. Das besteht aus einem einzigen großen Zimmer, mit Anbauten.
Ich trete ein und finde mich wieder mit ca. 20 Personen im Raum. Ein langes Tuch ist am Boden ausgebreitet. Das Sofre ist reich mit verschiedenen Speißen, Früchten, Brot und Getränken gedeckt.
Mein Platz ist an der „Spitze der Tafel“ umgeben von den Männern, die Frauen sitzen am anderen Ende. Alle langen hin und plaudern munter durcheinander.
Anstandshalber schaue nicht so oft zu den Frauen rüber.
Trotz wortloser Kommunikation wird es mir während und nach dem Essen nicht langweilig.
Die Kinder haben mich für sich entdeckt.
Schon während dem Essen sind sie kaum zu bremsen und starten freundliche Angriffe mit Gekicher und toben um mich herum.
Draußen wo ich mein Nachtlager aufgeschlagen hab, geht es noch eine ganze Weile weiter.
Für die aufgedrehten Kids fallen mir trotz müder Knochen ein paar Spielchen ein.
Die Eltern haben alle Mühe ihre Kinder vom staubig-verschwitzten müden Fremden zurückzurufen.
Als der junge und alte Familienführer sich auf der gemauerten Bühne vor dem Haus zum Gebet niederwerfen kehrt endlich Ruhe im Obstgarten ein. Ibrahim stattet mir noch einmal einen Besuch ab, und holt mir Kirschen vom Baum. Wir unterhalten uns wieder mit seinem Smartphone, bei dem er als Hintergrund ein Khomeini-Bild eingestellt hat.
Die Frauen schlafen drinnen, die Männer draußen auf der steinernen Bühne. Mitten in der Nacht wird’s noch einmal prekär, aus unerklärlichem Grund fallen plötzlich Regentropfen auf die staubige Erde und auf mein Schlaflager im Freien.
Im Schlafsack hüpfend ziehe ich um und setze mich an die Hauswand, bis der Regen aufhört.
In dreieinhalb Stunden wird der Weckalarm klingeln und ich muss in den Morgenstunden soweit wie nur möglich durchs Gebirge strampeln. Im ersten Morgengrauen breche ich ganz heimlich auf und lasse meine Gastgeber schlafend an der Haustür zurück.
Philipp
Coool,
was du so alles erlebst! bin echt gespannt was du nach deiner Reise noch so alles zu erzählen hast!
gruß und viel spaß
Philipp
Günter Preis
Da hast Du unvergessliche Erlebnisse, Jonas.
Günter Preis
Da hast Du unvergessliche Erlebnisse, Jonas.
Simon
Hey
Mal wieder echt spannend was du so erlebst und die Bilder sind wieder super geworden!
Bin schon auf weitere Bilder von dir gespannt wenn du wieder in heimischen Gefilden bist 🙂
Viele Grüße und genieß noch die letzten Tage auf deiner Abenteuerreise !
Simon
elisabeth pollak
Lieber Jonas, ich wünsche dir sehr, dass du weiterhin so gute Begegnungen hast….. und ich drücke dir fest die Daumen für allzeit gute Fahrt mit dem Liegerad!!!!! Viele Grüße aus em Schwobaländle Elisabeth
Günther
Ich wünsch dir viele weitere nette Menschen auf deinem Trip! Komm wieder gesund zurück!