Sakrales und Banales
Reisezeitraum: 23.04.2017 – 25.04.2017
Ukraine, Oblast Transkarpatien
Khust – Solotvyno – Sighetu Marmației
Nach der guten Bekanntschaft mit Oleh und seiner Familie fahre ich weiter durch die Weinbaugegend, Richtung Khust, eine Stadt nahe der rumänischen Grenze. In dieser aufstrebenden Stadt treffe ich in der Fußgängerzone aufgeweckte Schüler, die gerne ihre ersten Sätze in Englisch an den Mann bringen möchten.
In den Straßendörfern sehe ich Großmütter mit ihren Enkelinnen die Straßen entlang gehen. Ich überhole alte Männer auf klapprigen Fahrrädern. Baumaterial wird auf Pferdekarren transportiert. Einmal kommt mir ein Bulle auf dem Pferdefuhrwerk, begleitet von der Bauernfamilie entgegen.
Ich besichtige einen Friedhof. Die Gräber sind überfrachtet von Kunststoffblumenkränzen. Es ist ein kleiner gepflegter Wald aus Grabsteinen.
Meine Route führt mich an vielen Kirchen vorbei. Diese sind im prunkvollen russischen Stil gehalten und stechen wie glitzernde Edelsteine aus den grünen bewaldeten Karpartenhängen. In dieser Gegend werden viele Gotteshäuser neu gebaut. Türme und Türmchen mit golden verplatteten Kuppeldächern schmücken die sakralen Bauten.
Ein schönes Exemplar ist gerade fertig und hat einen intensiven grünen Anstrich erhalten.
Neben drann steht ein Holzgerüst, an dem die Glocken mit einem Seil geläutet werden, daneben eine Bretterbude mit Komposttoilette.
Die vorgeplante Strecke führt mich weiter an der ukrainisch-rumänischen Grenze entlang.
Diese Gegend wird immer skurriler. An der Hauptstraße spielt sich ein Häuserbauwettbewerb ab.
Ich sehe Villen mit schrecklich vielen Erkern, auf Hochglanz polierte Edelstahlzäune riegeln die Einfahrten ab. Die gelebte Fantasie der Bauherren kennt außerdem Kuppeldächer und Balkone. Edle Steinböden sollen eingezogen werden, das Baumaterial steht aufgetürmt entlang der Straße.
Manche Palazzi verfügen schätzungsweise über 30 Zimmer auf drei bis vier Stockwerken. Die Mentalität ist absurd. Oleh hat mir erzählt, dass die Besitzer manchmal nur 2-3 Zimmer bewohnen. Die restlichen Zimmer sind reserviert für das Prestige.
Viele unfertige Großbauprojektes säumen die Hauptstraße, auf einer der Baustellen sind Schafe eingepfercht. Manche Villen werden nie fertig gebaut und tragen schon Bewuchs. Vor einer der krassesten Wohnburgen ist der Platz zur Straße hin noch nicht gerichtet worden, eine Herde Kühe weidet davor, die Kühe trappen über die Straße, ein LKW muss anhalten – ein schräges Bild!
Wie kommen diese Leute zu so viel Wohlstand, während die anderen kein Geld haben um ihre Dächer zu reparieren?
Solche und ähnliche Fragen treiben mich um. Hoffnungsvoll fahre ich auf die rumänische Grenze zu.
Im letzten Grenzdorf begeistert sich ein kleiner Schuljunge für mein Liegerad.
Da bei der Kommunikation mit Händen und Füßen relativ schnell die Redewendungen ausgehen, fahre ich den Berg runter Richtung der Grenzstation am Grenzfluss. Da taucht plötzlich der Schuljunge wieder auf und es kommen drei Jungs auf zwei rostigen Klapprädern angesaust, der eine springt von der Lenkstange. Alle drei haben Sie alte zerschlissene „Räuberkleidung“ an. Ich lade sie ein gemütlich mit mir Pause zu machen, bevor es für mich ins neue Unbekannte geht.
Sie kriegen Süßigkeiten, sind ganz eifrig am Zuhören, Verstehen ohne Übersetzung, haben zwischendurch Durst und kriegen Wasser – aus der abgefakten Flasche, frisch vom Flaschenhalter. Die Kamera bleibt in der Tasche um diesen Moment nicht zu zerstören und um ihn fürs Leben in Erinnerung zu wandeln.