Wiedersehen nach 4000 Reise-Kilometern (Lahijan, Teil 1)
Mit einigen Nachträgen vervollständige ich das Blog-Tagebuch zur
Liegeradreise Ismaning – Isfahan.
Iran, Gilan, 07.06.2017
Im Morgengrauen rollen meine Räder weiter in das Tal des Sefid-Rūd (Sefid-Rūd =سفيدرود = weißer Fluss). Aus einem trockenen und ausgedörrtem Tal wird auf einer Strecke von 30km eine weite und wasserreiche Agrarlandschaft. Der Fluss zieht sich als Lebensader durch ein Mosaik aus glänzenden Reisfeldern. Hinter den nächsten Bergrücken vollzieht sich plötzlich ein farblicher Wandel vom tristen Gelbbraun zu üppig-grünen Schattierungen.
Ich bin froh, dass ich die enge Straße am Fluss, und somit die lange Reihe der qualmenden LKW verlassen kann und fahre entspannt auf dem Seitenstreifen des Highway – raus aus den Bergen und zielstrebig auf die Heimatstadt meines iranischen Freundes zu.
Im Umland der Stadt Lahijan erwarten mich überquellende Gärten und nahezu tropisches Flair. Hier befinde ich mich in der Reiskammer Irans. Eine gepflegte Kulturlandschaft, die mit ihren zahllosen Gräben und Bächen so reich an Wasser ist, dass das wilde, ungebändigte Grün dicht an die Häuser und Straßen heranwächst. Abends ist die Gegend erfüllt vom lauten Quaken der Frösche. Diese Nacht schlage ich mein Zelt auf einer Brachfläche zwischen Wasserkanal und Reisfeld auf. Bei den tropischen Temperaturen ist es stickig im Zelt, selbst beim Einschlafen schwitze ich.
Auf der Strecke nach Lahijan, nach ca. 2000 gestrampelten Kilometern habe ich meinen ersten platten Reifen. Eigentlich ein Wunder, nach einer so langen Fahrt bei widrigen Straßenverhältnissen. Den Plattfuß bekomme ich schnell repariert. Auf dem Weg durch die Dörfer begegne ich vielen Menschen und werde des Öfteren von den Dorfbewohnern umringt. Einmal möchte ich Lebensmittel kaufen und löse dabei eine kleine Versammlung aus, bei der ein Mann das Brot für mich bezahlt und ich Käse und ein Eis im Dorfladen geschenkt bekomme. Dass ich neben dem Brot auch noch andere Dinge regulär einkaufen möchte, kann ich mit meinen wenigen Worten in Persisch nur ganz schwer vermitteln.
Ein blauer Lieferwagen! Davor ein gut gelaunter Iraner der an einer Waage sitzt. Ich fahre sofort rechts ran, diese Möglichkeit der Stärkung und der Erfrischung lasse ich mir nicht zweimal anbieten. Der Ladewagen, ist bis oben hin mit Wassermelonen befüllt. Ich probiere es diesmal gar nicht erst mit dem Kauf einer Melone, auch wenn ich wirklich gerne eine ganze 4-Kilo-Frucht gekauft hätte – die halbe geschenkte Wassermelone nehme ich vom Händler sehr dankbar an.
Endlich zeigen die Verkehrsschilder eine baldige Ankunft in Lahijan an. Man schmeckt die Seeluft, das kaspische Meer kann nicht mehr weit sein!
Durch die Vororte bis in die vollen Straßen der Kernstadt schlängele ich mich hindurch, bis ich tatsächlich staubig, verklebt und durchgeschwitzt in der Wohngegend von Ruusbeh ankomme. Ich fühle mich wie ein Straßenschwein als ich von Ruusbehs Bruder Sam in Empfang genommen werde. Ich bin froh endlich angekommen zu sein. Das Haus der Familie Mirnor ist einladend, großzügig gebaut und schon etwas luxuriös eingerichtet.
Sam ist ein Original, er studiert Civil Engineering, lernt und schläft fleißig in gleich bleibendem Rhythmus. Abends hält er wöchentlich die English Class, bei der ich als Überraschungs- und Ehrengast auftauche. Abends gehen wir mit Freunden durch die Stadt und probieren die ein oder andere Shisha-Bar.
Ich verbringe rund eine gute Woche zu Gast bei der Familie Mirnor. Die Mutter von Ruusbeh ist eine energische pensionierte Hebamme mit Kurzhaarschnitt. Sie kocht für uns eine riesige Portion Fisch im Dill-Reisbett (fangfrisch vom kaspischen Meer).
An einem andern Tag sind wir eingeladen bei Ruusbehs Pflegeschwester Shiva. Im klimatisierten Wohnzimmer mit breiter Couch und großzügigem Teppich gehen mir die Augen auf, bei dem was auf dem Sofre-Tuch am Boden alles “aufgeteppicht” / aufgetischt wird. Es gibt verschiedene Speisen, darunter eine Art Hühnerfrikassee mit Safranreis, typisch garniert mit den roten Beeren der Berberitze. Dazu frisches Gemüse und diverse Dips und Joghurts. Dabei darf der leicht bittere, sehr aromatische Dip mit Walnüssen nicht fehlen.
Im Iran wird zwischen heißen und kalten Speisen unterschieden. Nicht die Temperatur der servierten Köstlichkeit ist entscheidend, sondern der Effekt, den ein bestimmtes Gericht auf den Körper bewirkt. Das Verhältnis, zwischen beidem sollte bei einer Mahlzeit so gut es geht einigermaßen ausgeglichen sein. Ruusbeh schüttelt den Kopf weil ich eine große Menge Joghurt und Wassermelone auf einmal vertilge. “Das sind zwei ganz kalte Speisen! Das würde ich nie gleichzeitig so in mich reinschaufeln!”. (Erklärung zu heißen und kalten Speisen von Javaneh’s Kitchen)
In der Stadt geht es insgesamt sehr locker zu, die Frauen sind geschminkt und gestylt, High Heels sind keine Seltenheit. Das Kopftuch rutscht schon mal ganz weit nach hinten und dabei fallen die langen Haare unter dem Kopftuch durch. Mit Sam und seinen „Kumpelz“ fahren wir ans Meer. Am breiten Sandstrand von Lahijan, der mit Autos befahren wird, gibt es einen abgetrennten Badebereich für Frauen, der allerdings momentan außer Betrieb ist. Stattdessen kommen uns gestylte Ladies im SUV mit lauter Musik entgegen.
Der Ramadan hat längst begonnen, in Sams und Ruusbehs Familie hält sich niemand an das Fastengebot, von religiösen Regeln ist allgemein keine Spur. “Wenn die Araber nicht bei uns einmarschiert wären und uns den Islam gebracht hätten, könnten wir hier jetzt ziemlich frei leben.” schimpft Roosbeh, sobald wir auf das Thema Freiheiten drinnen und draußen auf der Straße zu sprechen kommen. Wenn man nachts die Fenster öffnet hört man den Klage-Gesang von den Moscheen und tagsüber halten ganz in schwarz gekleidete Frauen dort eine Art Trauerwache. Betrauert wird vermutlich der Märtyrertod des Imam Ali.
Während draußen eifrig die religiösen Traditionen gepflegt werden, präsentieren Sam und Ruusbeh ihre eigenhändig hergestellten Alkoholika. Sam experimentiert mit der Bierherstellung und und Roozbeh versucht sich als Weinküfer. Herstellung und Konsum von Alkohol sind im Iran verboten und auch deshalb als Hobby sehr reizvoll. Der Wein ist roséfarben und wartet mit einer unbestreitbaren Note von Essig auf. Ruusbeh räumt ein, das dieses Mal wohl etwas schief gegangen sein muss.
Wir liegen viel auf der faulen Haut, weil das Klima nichts anderes zulässt. Heiß und drückend und extrem humid ist das Klima in der Stadt. Abends brandet der Verkehr über und es ist High-Life in den Straßen, bis um zwölf Uhr oder später. Die Innenstadt besteht aus einem bunten Arrangement aus Leuchtreklamen, Geschäften, Obsthändlern, Straßenhändlern und Handwerks- und Tante-Emma-Läden. Wir schwärmen mit unseren Liegerädern aus und genießen im Restaurant einen iranischen Kubideh (gegrillter Kebab-Spieß) und genehmigen uns anschließend einen Besuch in der Eisdiele.
So lässt sich das Leben gut aushalten, es sind schnell vergehende Tage in der “Stadt des grünen Teppichs” – wie die Lahijan sonst auch genannt wird…
Doch dazu später mehr.